Erinnerungen eines „einjährigen Reservisten” von Heinrich von Reuß
in: „Remscheider Zeitung, Lokal-Anzeiger” vom 15., 16.11.1897
„Innig geliebte Braut!” so schrieb ich von meiner Reserveübung in Perleberg bei den elften Ulanen triumphirend nach Hause.„Ich bin Vorgesetzter. Weißt Du, was es heißt, ein Vorgesetzter zu sein? Es ist ein erhebendes Gefühl, welches den Menschen emporzieht aus dem Staube der Knechtschaft und ihn den Thronen näher bringt. Seit Samstag Mittag um ein Uhr habe ich einen Beritt; drei Gefreite und zwölf Ulanen lauschen meinen Befehlen, ja meinen Winken.
Kein ausgehakter Flankirbaum entgeht meinem Späherauge; kein Woylach ist vor mir sicher, wenn er nicht vorschriftsmäßig an der zu seiner Aufnahme angebrachten eisernen Stange aufgehängt ist, kein Fenster vermag sich vor dem eiligsten Geschlossenwerden zu drücken. Am meisten habe ich es auf schief sitzende Mützen abgesehen. Da bietet sich mir ein reiches Feld des Monirens; bald sitzt die Kokarde über dem rechten, bald über dem linken Ohr, manchmal sogar ganz hinten; Du solltest nur sehen, was die Kerls für dumme Gesichter machen, wenn ich sie mal ganz ernsthaft frage, ob sie in die zweite Klasse des Soldatenstandes gekommen sind. Da wissen sie zuerst garnicht, was das heißen soll; dann fahren sie auf meine Andeutung eiligst mit beiden Händen nach der Kokarde, die an irgend einer x-beliebigen Stelle sitzt, nur nicht senkrecht über dem„Löthkolben”.
Ich habe meine Augen überall, bin allgegenwärtig (selbstverständlich nur in dem mir zuertheilten Beritt). Was mir dabei besonders interessant erscheint, ist der Umstand, daß der mir anvertrauten Abtheilung zwei Unteroffiziere, nämlich der Fahnenschmied und ein Trompeter aggregirt sind, deren Vorgesetzter ich ebenfalls sozusagen bin; denn bei den stattfindenden Appellen stehen sie im Gliede, während ich mich stolz erhobenen Hauptes vor der Front herumdrücke und gegebenenfalls die erforderlichen Meldungen zu machen habe.
Du kannst es Dir gewiß bei meiner anerkannten Liebenswürdigkeit garnicht vorstellen, daß ich ein sehr strenger, ja unter Umständen sogar grober Vorgesetzter sein kann. Du lächelst? Aber glaube mir, ich bin wirklich manchmal grob, allerdings nur, wenn ich gereizt werde. Ich weiß eben genau, was sich dem königlichen Dienste schuldig bin. Die Schwere der Verantwortung, welche auf meinen Schultern ruht, bin ich mir in vollem Umfange bewußt und ich bestrebe mich, den an mich gestellten Anforderungen in allen Punkten zu genügen.
Meinen Beritt halte ich in peinlichster Ordnung. Des Morgens um vier Uhr (denke Dir, um vier Uhr muß ich schon im Stalle sein) bin ich der erste auf dem Platze. Wehe der Stallwache, welche mit dem verbotenen Woylach arglos in der molligen Streu sich noch in den Armen des berüchtigten Morpheus herumsielt. Ich wecke den Aermsten mit einer Stimme, welche geeignet wäre, die Todten auferstehen zu lassen.
Ist dann im Innern alles in Ordnung, so stelle ich mich in Positur, um meine Untergebenen würdig zu empfangen Dazu blase ich mich ein wenig auf, stütze mich mit der Linken auf den Säbel, stecke die Rechte in den Brustlatz der Ulanka und werfe das Haupt stolz in den Nacken. Die Stellung muß geradezu niederschmetternd wirken; wenigstens behauptet mein Spezialkollege, der Unteroffizier des Nebenberitts, „daß ich mich so ganz famos mache”.
Mit diesem Unteroffizier habe ich eine Art Freundschaft geschlossen. Wir treten, wenn die Leute alle da sind, ein bischen zusammen und erzählen uns, was wir am Tage vorher angegeben haben, gehen bei jeder passenden Gelegenheit gemeinsam nach der Kantine, trinken dort ein Glas Bier (welches ich natürlich immer bezahle) und reden uns gewissermaßen mit dem Vornamen an; er beginnt nämlich jede Anrede an mich mit dem Worte „Dicker”, während ich ihn „August” nenne. Ob er wirklich so heißt, und wie ich überhaupt auf diesen Namen gekommen bin, weiß ich nicht.
August, der erst im vorigen Jahre Unteroffizier geworden, ist ein guter Kerl, nur hat er das Unglück, daß er von seinen Leuten nicht so recht respektirt wird. Das macht ihn aber jedesmal furchtbar wüthend, und er gebraucht dann gegen den Uebelthäter, der ihm nicht mit der gehörigen Unterwürfigkeit entgegen getreten ist, den Ausdruck: „Du verfluchter Soze—aldemokrat”, den er für die größte, entwürdigendste Beleidigung hält.
Häufig genug geschieht es, daß ich mit meinen Kenntnissen in die Brüche komme. Es ist ja ganz natürlich, daß die Ulanen, welche seit zwei Jahren Tag für Tag denselben Dienst thun (denn ich habe nur „alte Kerls” unter mir), besser Bescheid wissen müssen, als ich, der ich erst kürzlich die Metamorphose vom Verlags-Buchhändler zum Berittführer durchgemacht und vor fünf Jahren als Einjährig-Freiwilliger den Stalldienst überhaupt so gut wie garnicht kennen gelernt habe. In diesem Punkte stehen wir Einjährigen mit Recht in dem Rufe „gräuliche Ignoranten” zu sein. Dann laufe ich schleunigst zu August und hole mir Rath, den ich dann im Tone eines gemessenen Befehls, mit einer Sicherheit, die überhaupt keinen Widerspruch duldet, den Leuten meines Beritts zum besten gebe. Aber selbst, wenn ich mich einmal verhauen habe, lasse ich mir dennoch nicht auf der Nase herumtanzen, sondern weiß mir Respekt zu verschaffen.
Einen Fall, der hierher gehört, kann ich Dir erzählen. Neulich war in meiner Abwesenheit der Oberpink (Ober-Roßarzt) dagewesen und hatte rücksichtlich der Hitze, welche an diesem Tage herrschte, befohlen, daß die Fenster im Stall nach Einrücken der Mannschaft nicht wie sonst üblich, geschlossen werden sollten. Ich komme also ahnungslos vom Exerziren, hänge die „Tschapka” an den Nagel und setze mir die Mütze auf, lege mein Gesicht in die nothwendigen Dienstfalten und fange an, zu wettern und zu schimpfen, daß die Stallwache wahrscheinh Stroh im Kopfe habe, die Kerls überhaupt eine zusammengelaufene Zigeunerbande, aber keine Ulanen seien und die Gefreiten sammt und sonders mit einem schlechten Beispiel vorangehen. Auf der Stelle sollten alle Fenster geschlossen werden.
Da kam ich nun schön an. Ueberall erregte mein Befehl Widerspruch. Aber ich, unverfroren wie ich bin, stelle mich breitbeinig auf den Stalldamm, nehme die oben beschriebene Positur an und schreie mit der vollen Kraft meiner Lungen:
„Kerls, Ihr seid wohl verrückt geworden? Augenblicklich macht Ihr die Fenster zu oder der Teufel soll Euch das Licht halten!”
Das war ein direkter Befehl, und keiner wagte, sich dagegen aufzulehnen; nur ein widerhaariger Pollack brummte und schimpfte, der Ober-Roßarzt wäre doch mehr als ich, und der hätte bestimmt, die Fenster sollten aufbleiben.
Im ersten Moment stutzte ich; dann faßte ich mich schnell, trat dicht an den Rebellen heran und rief ihm ins Gesicht:
„Halten Sie das Maul und machen Sie die Kkappe zu. Ueberhaupt nehmen Sie Ihre schlappen Knochen zusammen, wenn ich mit Ihnen rede.”
Das half. Im nächsten Moment blickte ich triumphirend auf meine zehn geschlossenen Fenster.
„So!” sagte ich und drehte der besseren Wirkung wegen an meinem mit ungarischem Bartwachs aufgesetzten Schnurrbart. Jetzt tritt die Stallwache zu mir heran und meldet, was der Herr Ober-Roßarzt befohlen hat.”
(Schluß folgt.)
Der betreffende Mann stürzte diensteifrig herzu und machte die vorschriftsmäßige Meldung. Ich nickte sehr würdevoll, rief meinen Leuten ein kräftiges „Fenster auf” zu und ging mit August nach der Kantine, welcher, selbst fast eingeschüchtert, sanft meinen Arm nahm und leise fragte:„Was haben Sie denn gemacht, Dicker?”
„Respekt habe ich mir verschafft!” schnaubte ich ihn an, noch immer wild die Augen rollend. Dann ertränkte ich meinen Zorn in dem schlechten Bier des Küchensergeanten, und August trank auf mein Wohl und meine Kosten.
Du mußt nun nicht glauben, liebes Bräutchen, daß ich meinen Untergebenen gegenüber immer nur streng und grob bin. Nein! Du weißt ja, daß der Grundzug meines Charakters gut und verträglich ist, und so bin ich auch meinen Leuten ein wohlwollender Vorgesetzter, der, wenn alles nach der Schnur gegangen ist, gern ein Glas Bier und ein paar Zigarren spendirt; aber Raison müssen die Kerls haben, sonst soll sie der Teu — — — pardon.
Was meine sonstige Stellung in der Schwadron anbetrifft, so ist dieselbe eine durchaus angenehme. Beim Exerciren oder bei dem jetzt stattfindenden Felddienst thue ich Unteroffizierdienste, reite als Schließender, führe Patrouillen, kommandire detachirte Unteroffizierposten und dergleichen.
Gestern hatte ich ein merkwürdiges Kommando; ich mußte nämlich eine geschlagene Stunde lang bei der Häckselmaschine stehen und aufpassen, daß die sieben zum Schneiden befohlenen Kerls auch ordentlich arbeiteten.
Nun mache Dir ein Bild, liebes Herzchen, wie es aussehen muß, wenn ich mit meinem nicht ganz unbedeutenden Umfange eine ausgetretene wackelige Leiter hinaufklimme und meine korpulente Wenigkeit durch die ziemlich enge Bodenluke zwänge. Ich kann es meinen sieben nachdrängenden Ulanen wirklich garnicht ernstlich übel nehmen, wenn sie diese famose Situation benutzten, und mich gerade in dem Moment, wo ich mich absolut nicht rühren konnte,„hinterrücks” abscheulich kitzelten.
Als ich die Missethäter oben hatte, ließ ich sie antreten, um den Schuldigen herauszufinden; allein, was half es? Sie grinsten alle sehr vergnügt und mir blieb schließlich nichts anderes übrig, als ebenfalls ein bischen zu grinsen, die Sache von der humoristischen Seite aufzufassen und die Kerls mit einem freundlich gemeinten„Schert Euch an die Arbeit” zur Erfüllung ihrer soldatischen Pflicht zu ermahnen.
Nun ging es los. Rutt — Rutt — Rutt — Rutt - stöhnte die Maschine in regelmäßigen Zwischenräumen und das zu Häcksel geschnittene Stroh fiel in einem kühnen Bogen zur Erde. Die Leute waren vergnügt und begannen zum Takte ihrer Arbeit zu singen:
Häckselschneiden ist mein Leben,
Jum heidi, Jum heida.
Dabei muß man einen heben,
Jum heidi heida.
Wenn man einen heben thut,
Schneidet es noch mal so gut.
Obgleich ich mich bei der Singerei höchlichst amüsirte, so machte ich doch ein ernstes, etwas langweiliges Gesicht, um meiner Würde als Häckselschneidebeaufsichtigungskommissarius nichts zu vergeben. Schließlich ermüdete mich die monotone Arbeit, ich setzte mich auf ein Heubündel, lehnte mich an die Wand, und war in kurzem eingeschlafen.
Eine Stimme weckte mich aus meinem erquickenden Schlummer.
„Na, damit werden Sie sich den Orden„pour le Beritt” ooch nich verdienen, Herr Reservist! Sie scheinen so schluckzessive in Orpheußens Arme gesunken zu sein. Salvus!”
Es war der Vizewachtmeister Hahnemann, welchem die spezielle Pflicht oblag, den Stall, in dem ich mit zwei Unteroffizieren Beritt führte, zu beaufsichtigen.
„Man wird wahrhaftig müde, Herr Wachtmeister.” sagte ich, mir die Ulanka zurechtzupfend, „wenn man seit halb vier Uhr auf den Beinen ist; und die Häckselschneiderei ist eine langweilige Geschichte.”
„Ja, det stimmt! Na, Sie werden ja bald abgelöst; August muß auch noch eine Stunde schneiden lassen. Ich werde Sie ein bischen Gesellschaft leisten.”
Hahnemann blieb nun bei mir und erzählte in seinem Kauderwelsch, welches er mit allen nur erdenklichen, falsch angewendeten Fremdwörtern vollpfropfte, alles mögliche, besonders von seinem Interesse für die Römer und Griechen, über die er sich gern etwas von den Einjährigen erzählen lasse. Ich sollte doch auch eine Geschichte aus dem Alterthum zum besten geben.
Ich ließ mich nicht lange nöthigen, sondern berichtete von der Gründung der Stadt Rom, soweit mir dieselbe noch im Kopfe war. Es mag wohl ein schönes Zeug zusammen gekommen sein.
Der Vizewachtmeister fuhr mir ab und zu mit irgend einer verblüffenden Frage in die Krone, verwechselte dabei stets Remulus und Romus, sodaß ich zuletzt so konfus wurde, daß ich selbst weder ein noch aus wußte. — Ich sprang kühn auf den Raub der Sabinerinnen über, ging mit Cäsar nach Gallien, mit Kolumbus nach Amerika und war mit einem Male bei der Belagerung von Metz, ohne zu wissen, wie ich dahingekommen.
Es war ein Glück, daß mein Berittsnachbar, der bekannte August, bald mit seinen Leuten zur Bodenluke hereinstieg, sonst hätte mir der Vizewachtmeister die paar, aus der Gymnasialzeit mühselig geretteten, an sich schon sehr ruinenhaften Geschichtskenntnisse total durcheinader geschwatzt. So ward ich dieses Mal noch zur rechten Zeit erlöst.
Mein Vorgesetztenthum hier in P. geht sogar soweit, daß ich z. B. vorgestern eine Schwadron zu kommandiren bekam. Dies klingt Dir wahrscheinlich unwahrscheonlich, allein die Lösung des Räthsels ist die, daß de unterstellte Eskadron eine sogenannte Flaggen-Eskadron war, das heißt, ein Ulan mit einer großen weißen Flagge an der Lanze markirte die ganze Schwadron und ich war Chef derselben. Ich sollte ein Dorf besetzt halten, dasselbe mit meinen fingirten hundert Mann bis zum letzten Blutstropfen vertheidigen. Als mir der Rittmeister diesen Auftrag ertheilte, schwor ich mir im stillen, mein Leben für die Aufrechterhaltung meiner Ehre einzusetzen, und auf keinen Fall einen Feind an dieser durch mich vertheidigten Stelle durchzulassen. Ich habe treulich Wort gehalten; denn während der sechs langen Stunden, welche ich dort halten mußte, ließ sich auch nicht ein einziges lebendes Wesen sehen mit Ausnahme eines schmutzigen Dorfjungen, der nach Zureden für mich und den Ulanen aus dem Kruge etwas Braunbier holte. Um zwei Uhr kam eine Ordonnanz angesprengt, welche mir den Befehl überbrachte, mit meiner Schwadron einzurücken.
Da ich es nun in meiner hiesigen Karriere nicht weiter gebracht habe, als bis zum Eskadron-Chef, so kann ich diesen Brief wohl getrost schließen. Du ersiehst aber aus dem allen, mein süßes Herzblatt, ein wie großes Tier ich geworden bin, und welches kolossale Vertrauen die Vorgesetzten, allerdings mit vollem Recht, in mich setzten. Na, Gott sei Dank, gelte ich hier eben mehr, als bei der Garde.
Liebes Bräutchen! Ich hoffe stark, daß Du apäter, wenn wir verheirathet sind, meine Autorität als Vorgesetzter ebenso anerkennen wirst, wie jetzt meine Ulanen.
Mit den herzlichsten Grüßen und Küssen und der zuversichtlichen Hoffnung auf baldiges Wiedersehen, am Sonntag auf Urlaub verbleibe ich
in ewiger Liebe und Treue
Dein Linien-Ulan Victor,
— auch in Vertretung Eskadron-Chef, wirklicher Berittführer
und Vorgesetzter mit Aussicht auf die Knöpfe.
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